Deutschland und China: Ein Plädoyer für Zusammenarbeit

Der Kampf gegen den Klimawandel gelingt nur mit der Volksrepublik. Deutschland sollte deshalb das Narrativ ändern und mit China eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe anstreben, fordert Georg Kell

Georg Kell Der Autor ist Chef des Fintech Arabesque, Sprecher des Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen und Gründungsdirektor der UN-Initiative Global Compact für nachhaltig handelnde Konzerne. (Foto: Dominik Butzmann [M])

Georg Kell Der Autor ist Chef des Fintech Arabesque, Sprecher des Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen und Gründungsdirektor der UN-Initiative Global Compact für nachhaltig handelnde Konzerne. (Foto: Dominik Butzmann [M])

Wie wir die Beziehungen zu China definieren wird weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft Deutschlands und Europas haben. Die Rivalität der Großmächte nährt aktuell ein Narrativ, das China als Feind und Bedrohung darstellt. 

Das Narrativ könnte zur selbst erfüllenden Prophezeiung werden, sodass eine Konfrontation am Ende unvermeidlich ist. Aus Angst vor einem Kontroll- und Einflussverlust in der Welt wird unter dem Vorwand moralischer Überlegenheit und einer Systemrivalität für eine wirtschaftliche Entkopplung argumentiert. 

Natürlich muss auf der Einhaltung von Menschenrechten bestanden werden. Doch das vorherrschende Narrativ der Spaltung ist nicht nur falsch, es ist auch gefährlich.

Falsch ist das Narrativ, weil die uralte Machtbesessenheit als Selbstzweck die Tatsache ignoriert, dass es in unserer modernen und von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägten Welt keine Alternative zur Zusammenarbeit gibt, wenn wir Frieden und Wohlstand sichern möchten.

Wir haben einen neuen gemeinsamen Feind: Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, mit der sich die Menschheit je konfrontiert gesehen hat. Er bedroht ganz unabhängig von Glauben oder Sprache die Existenzgrundlage der Weltbevölkerung.

Wir verdanken einen Großteil unseres Wohlstands dem Handel mit China

Gegen den Klimawandel haben wir nur gemeinsam mit China eine Chance. Noch ist das Land sehr abhängig von Kohlestrom. Es ist gut, wenn der Kampf der Wirtschaft gegen den Klimawandel global geführt wird.

So lassen sich auch im Chinageschäft der nötige Druck zur Dekarbonisierung aufbauen und internationale Benchmarks austauschen. Die Dekarbonisierung von Wertschöpfungsketten und Prozessen kann nur durch unternehmerisches Handeln – insbesondere im technologischen Bereich – und durch Zusammenarbeit erfolgen.

Der Klimawandel muss zur außenpolitischen Toppriorität werden und Politiker müssen sich von althergebrachten Machtgedanken verabschieden, die auf geografischen Einflussbereichen und der Kontrolle über Völker basieren.

Gefährlich ist die Idee eines Rückzugs aus China aber deshalb, weil er den wirtschaftlichen Niedergang und soziale Unruhen zur Folge haben kann. Unser Wohlstand ist nicht vom Himmel gefallen. Vielmehr ist er in großen Teilen auf den Handel mit, und Investitionen in China zurückzuführen.

In China sind dadurch Hunderte Millionen von Menschen der extremen Armut entkommen. China ist und bleibt ein wichtiger Markt und entwickelt sich zu einer immer stärkeren Innovationsquelle.

Und der Markt sichert Arbeitsplätze in Deutschland. Bei Volkswagen in Deutschland sind viele Arbeitsplätze direkt und indirekt mit dem Chinageschäft verbunden. Die drei Milliarden Euro des anteiligen operativen Gewinns aus dem Markt stützen auch Investitionen in Europa sowie die Transformation zur Elektromobilität.

Gleichzeitig baut Volkswagen das Geschäft in den USA weiter aus und ist in Europa und Südamerika stark. Aber China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner und wird es auf lange Sicht bleiben.

Rund 40 Prozent seiner Fahrzeuge hat der Volkswagen-Konzern im vergangenen Jahr in China verkauft. Verwehrt man westlichen Unternehmen den Zugang zu China, schnürt das Umsatz- und Innovationsströme ab, was wiederum mit weitreichenden Folgen für den Arbeitsmarkt und die Konjunktur einherginge, gerade auch in Deutschland und Europa. Deutsche Unternehmen wären nicht mehr in der Lage, ihre ambitionierten Dekarbonisierungsziele zu finanzieren.

Unternehmen können und sollten die Staatsmacht nicht ersetzen. Der Instrumentalisierung von Wertesystemen, insbesondere von Menschenrechten zur Ausübung von Machtpolitik, muss Einhalt geboten und die zugrunde liegende Problematik offengelegt werden.

Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Daher müssen globale Unternehmen, um erfolgreich zu sein, die höchsten Standards einhalten, ganz unabhängig vom Umfeld, in dem sie agieren.

Menschenrechte dienen dem Schutz von Menschen und ein Rückzug aus bestimmten Regionen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Mitarbeitenden vor Ort von der Einstellung des Betriebs profitieren würden.

Westliche Unternehmen sind in der Xinjiang-Region aktiv und können erst so ihre Werte und Standards vor Ort leben. Präsenz bringt dort mehr als Rückzug. Auch die Auswirkungen auf Mitarbeitende vor Ort sind zu berücksichtigen.

Moralische Überlegenheit ist ein Ausdruck von Arroganz

Außerdem ist die Vorstellung, der Westen habe so etwas wie ein Monopol auf moralische Überlegenheit, schlicht und ergreifend falsch. Die europäischen Politiker von heute sind in der Regel nicht in extremer Armut aufgewachsen und haben nie einen Krieg erlebt.

Wir alle sind in der glücklichen Lage, Teil dieser Generation zu sein. Die Annahme, unsere Erfahrungen auf andere projizieren zu können, ist arrogant und töricht. Jedes Land, jede Kultur hat eine eigene Geschichte und eigene Herausforderungen.

Wir müssen uns nur fragen, warum so viele asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Länder sich nicht gegen das Putin-Regime stellen, um zu verstehen, dass unsere unterschiedlichen Vergangenheiten zu unterschiedlichen Interpretationen führen.

Moralische Überlegenheit ist der Ausdruck der Arroganz unserer Interpretation und zeigt, wie wenig wir von der Geschichte anderer Länder wissen. Wenn wir unserem Führungsanspruch gerecht werden möchten, müssen wir Bescheidenheit und Respekt an den Tag legen.

Das soll nicht heißen, dass der politische Diskurs zu Menschenrechten und deren Schutz durch Staaten gescheitert ist oder nicht fortgeführt werden sollte. Aber Sachverhalte, die die Politik nicht zu lösen vermag, auf Unternehmen abzuwälzen ist nicht zielführend und wird einen noch größeren Schaden anrichten.

Wir müssen uns nur fragen, warum so viele asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Länder sich nicht gegen das Putin-Regime stellen, um zu verstehen, dass unsere unterschiedlichen Vergangenheiten zu unterschiedlichen Interpretationen führen.

Moralische Überlegenheit ist der Ausdruck der Arroganz unserer Interpretation und zeigt, wie wenig wir von der Geschichte anderer Länder wissen. Wenn wir unserem Führungsanspruch gerecht werden möchten, müssen wir Bescheidenheit und Respekt an den Tag legen.

Das soll nicht heißen, dass der politische Diskurs zu Menschenrechten und deren Schutz durch Staaten gescheitert ist oder nicht fortgeführt werden sollte. Aber Sachverhalte, die die Politik nicht zu lösen vermag, auf Unternehmen abzuwälzen ist nicht zielführend und wird einen noch größeren Schaden anrichten.

Die deutsche Regierung muss mit China eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe suchen

Zum umsichtigen Walten gehören die Vermeidung von extremen Abhängigkeiten, eine gewisse Risikovorsorge und die Durchsetzung robuster Regularien. Eine selbsterklärte moralische Überlegenheit und das Ignorieren der durch den Klimawandel hervorgerufenen Bedrohungen zeugen von einer Wiederholung von Fehlern aus der Vergangenheit.

Klar geregelter Wettbewerb bei gleichzeitiger Förderung der Zusammenarbeit gegen den Klimawandel ist der einzige Weg in eine sichere Zukunft.

Deutschland und Europa müssen sich am Riemen reißen und mit Innovation und sozialer Integration führen. Nur so lassen sich andere inspirieren.

Die deutsche Regierung hat eine historische Chance, mit der künftigen Chinastrategie das Narrativ zu verändern und auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu drängen. Eine Zusammenarbeit, die von dem Wissen um die gegenseitige Abhängigkeit und von gegenseitigem Respekt geprägt ist.

Wir haben zweifelsohne eine historische Verantwortung, beim wichtigen Kampf gegen den Klimawandel die Führungsrolle zu übernehmen und aufzuzeigen, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft bei Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens nicht nur möglich, sondern auch erstrebenswert ist.

Germany and China: The Case for Engagement

How we frame the relationship with China will have far-reaching implications for the future of Germany and the rest of Europe. Big-power rivalry on both sides of the Atlantic is currently feeding a narrative that casts China as an enemy and a threat that might eventually lead to confrontation. Motivated by the fear of losing control and influence in the world, the case for economic decoupling is made by invoking moral superiority and system rivalry. This narrative is both flawed and dangerous.

It is flawed because the ancient obsession with power for the sake of power ignores the fact that in our modern and interdependent world, we have no choice but to collaborate if we want to secure peace and prosperity. We have a new common enemy – climate change. It is the biggest challenge humanity has ever faced and threatens the very foundations of humanity, irrespective of creed or language. We only stand a chance to turn the tide on climate change if China is on board. Decarbonization of value chains and processes can only happen through corporate – especially technological - engagement and collaboration. Climate change must become the top foreign policy priority and policy makers must retire the ancient power myths that are based on notions of geographical spheres of influence and control over people.

The narrative of disengagement with China is also dangerous because it has the potential to lead to economic decline and social unrest. Our wealth did not fall from heaven. Much of it was earned through trade and investment with China, where it has helped hundreds of millions of people to escape extreme poverty. China remains an important market and increasingly also a source of innovation. Denying Western companies an engagement with China would cut them off from revenues and innovation with far-reaching consequences for employment and economic wellbeing. German companies would no longer be able to finance their ambitious transformation agendas towards a carbon-neutral economy. In short, Germany would not be able to lead the big transformation that is so urgently required.

The weaponization of value systems, in particular making human rights the handmaiden of power politics, needs to be rejected and its fundamental flaws need to be laid open. First, for companies to have a positive footprint, they need (and always needed) high standards for treating their employees and managing their supplies, irrespective of the broader environment in which they operate. Human rights are about people, and divestment is only justified if local employees are better off if the operations are discontinued. Companies cannot and should not substitute for state power.

Second, the idea that the West has a monopoly of moral superiority is simply wrong. Today’s policy makers in Europe have never experienced extreme poverty or war. We are the lucky generations. Assuming that our experience can be projected onto others is arrogant and foolish. Every country and culture has its unique history and struggles. We just need to ask the question why so many countries from Asia, Africa and Latin America do not rally against the Putin regime to understand that our own history and their history have different interpretations. Moral superiority is the arrogance of our interpretation and a measure of how little we understand about the history of others. Modesty and respect are called for if we are to give real meaning to the claim of leadership. This should not mean that the political discourse on human rights and the duty of states to protect them has failed or should not be continued. But offloading on companies what politics cannot solve does not help and will only inflict more damage. 

Prudent stewardship involves avoiding extreme dependencies, preparing for disruptions, and insisting on robust rules of engagement. Self-declared moral superiority and ignoring the threat of climate change while falling back to a “Kaiser Wilhelm Kanonenpolitik” is a recipe for repeating past mistakes. Competition based on clear rules while nurturing collaboration to fight climate change is the only way to secure a safe future. Germany and Europe need to get their act together and lead with innovation and social inclusion, which is the only way to inspire others. And no doubt, we have a historic responsibility to lead the most important struggle of all – showing that decarbonizing economies and maintaining social peace is both doable and desirable.