Nachhaltige Entwicklung: Die Wirtschaft hat eine wichtige Rolle

Commerzbank Magazin zur unternehmerischen Verantwortung 2017

Kapitel Nachhaltige Entwicklung, Seite 10/11: Interview Georg Kell

 

„Die Privatwirtschaft hat eine wichtige Rolle“

Mit den 2016 beschlossenen Sustainable Development Goals (SDGs) wollen die Vereinten Nationen neuen Schwung in die internationalen Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung bringen. Nachhaltigkeitsexperte Georg Kell erklärt im Interview, wie der Beitrag der Finanzwirtschaft zu den SDGs aussehen kann.

Die Sustainable Development Goals wenden sich in erster Linie an Staaten, weniger an Unternehmen. Was kann die Wirtschaft dazu beitragen, dass die SDGs umgesetzt werden?

Georg Kell: Natürlich muss sich die Staatengemeinschaft über die großen Ziele einig sein, aber die Privatwirtschaft war von Anfang an eine treibende Kraft bei der Entwicklung der SDGs. Schließlich geht es um Grundwerte wie Offenheit und Respekt und wie auf dieser Basis Handel, Investitionen und der freie Informationsaustausch ermöglicht werden können. Angesichts einiger dunkler politischer Wolken am Horizont haben Unternehmen jetzt sogar eine besonders wichtige Rolle. Wir brauchen Regelwerke, mit denen Märkte gedeihen können, ob das nun den Klimawandel betrifft oder die Wassernutzung – überall sind die SDGs ein Motivationsfaktor für die gemeinsame Suche nach Lösungen.

Wie sehen Sie die Rolle und die Verantwortung der Finanzwirtschaft?

Kell: Nach Jahren der Skepsis kann man seit zwei, drei Jahren sehen, dass die Finanzwelt bewusster mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht. Einige Finanzunternehmen sind sogar auf die Überholspur gewechselt oder sind dabei, dies zu tun. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren Themen der Nachhaltigkeit aus Sicht von Banken sehr abstrakt und eher moralisch motiviert. Jetzt aber, wo Nachhaltigkeitsinformationen immer besser quantifizierbar sind, erkennt die Finanzwelt zunehmend, dass Nachhaltigkeit durchaus ein wichtiges Thema mit Wachstums-Opportunitäten ist. Die Messbarkeit von nichtfinanziellen Größen in der Bewertung von Chancen und Risiken kann diese Bewegung jetzt kräftig voranbringen. So können Kapitalströme immer mehr in jene Bereiche geleitet werden, die der Nachhaltigkeit nützen.

Was hat diese Bewegung ausgelöst?

Ich erkenne drei große Megatrends. Der erste ist Information und Transparenz, mit denen wir heute, zum Beispiel im Bereich Wasserwirtschaft, den wirtschaftlichen Nutzen von nachhaltigem Verhalten nachweisen können. Der zweite ist, dass sich die gesellschaftlichen Einstellungen zur Nutzung natürlicher Ressourcen in den letzten zehn bis 15 Jahren dramatisch verändert haben. Öffentliche Güter wie Luft und Wasser werden heute als wertvoll erkannt. Der Zusammenhang von sauberem Wasser und Luftqualität mit Themen der Gesundheit und Lebensqualität wird immer offensichtlicher. Drittens geht es auch um die Veränderungen, denen viele Märkte und Gesellschaften unterliegen. Konsumenten verändern sich und fordern mehr Kundennähe und Entscheidungsmöglichkeiten für Individuen. Dabei geht es auch um Fragen der Nachhaltigkeit, weil sie dem Lebensgefühl und der Wertschätzung vieler Menschen entgegenkommen.

Welche der 17 SDGs sind für die Finanzwelt besonders relevant?

Kell: Große Themen für die Finanzbranche sind insbesondere Energie, Städte, Infrastruktur, Klimawandel. Hier geschieht schon viel, aber hier wird auch weiterhin viel Finanzierungsbedarf bestehen, um neue Lösungen anzuwenden.

Können die Ziele nicht auch in den Unternehmen selbst umgesetzt werden?

Kell: Absolut. Die SDGs stellen zunächst einmal eine gemeinsame Roadmap dar, eine Blaupause für die positive Entwicklung der Menschheit. Viele Ziele eignen sich sehr gut für die firmeninterne Ebene. Das sollten sich Unternehmen ganz genau anschauen und dann die Ziele identifizieren, mit denen ein Unternehmen die größte Wirkung erzielen kann oder die gut zum Geschäftsmodell passen. Bildung oder Geschlechtergleichstellung sind zum Beispiel wichtige Themen, bei denen sich jedes Unternehmen verbessern kann.

Sehen Sie bestimmte bankenspezifische Instrumente, um Nachhaltigkeitsziele voranzutreiben?

Kell: Ich glaube, es gibt zwei große Trends auf diesem Gebiet. Der eine ist eine thematische Orientierung, konkret: die Impact-Investment-Bewegung. Hier müssen Kredite oder Investments einen nachweislichen sozialen oder ökologischen Nutzen haben. In diesem Bereich tut sich im Moment sehr viel. Der andere ist die systematische Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien in alle Investitionsentscheidungen eines Finanzinstituts. Diese Integrationsbewegung ist schon sehr weit vorangeschritten und steht meines Erachtens kurz vor dem Durchbruch. Und beide Bewegungen sind komplementär. Die erste ist projekt- oder themenspezifisch, die zweite ist systemisch und zielt darauf ab, Märkte insgesamt positiv zu beeinflussen.

Wie beurteilen Sie die Leistung deutscher Unternehmen?

Kell: Die eigentliche Stärke Deutschlands, was Nachhaltigkeitsfragen betrifft, liegt im Ingenieurswesen. Das ist eine nationalökonomische Stärke im globalen Wettbewerb, die Deutschland mit seinen vielen mittelständischen Betrieben auch auszunutzen weiß. Viele davon haben durchaus verstanden, dass Nachhaltigkeit ein Wettbewerbsvorteil ist. Trends in der Wirtschaft, wie die Kreislaufwirtschaft oder die zunehmende Dezentralisierung der Energieversorgung, sind phänomenal. Diese Stärken kann auch die Finanzwelt unterstützen. Ich sehe darin eine große Gelegenheit, wieder Vertrauen aufzubauen und wirtschaftlich Fuß zu fassen. Dabei sollte man sich auf die ursprünglichen Stärken zurückbesinnen, denn der Standort Deutschland ist goldrichtig aufgestellt.

______________________________________________________________

Georg Kell war Mitgründer und von 2000 bis 2014 Exekutivdirektor des Global Compact, dem Unternehmensnetzwerk der Vereinten Nationen. Seit Anfang 2015 ist er Vice Chairman der deutsch-britischen Investmentgesellschaft Arabesque Partners, die sich mit einem eigenen Research-Ansatz auf nachhaltiges Investment spezialisiert hat.

______________________________________________________________

 

• nachhaltigkeit.commerzbank.de | Nachhaltigkeitsstandards | Mitgliedschaften | Sustainable Development Goals